Arno Schmidt: Seelandschaft mit Pocahontas

Neulich bekam ich vom Suhrkamp-Verlag als Beilage zu einer Büchersendung Prospekte über die bei ihnen verlegten Arno-Schmidt-Bücher. Nun ist jener ganz sicher einer der Dichter, die viele kennen, aber der von deutlich weniger Lesern gelesen wird. Das – so dachte ich bei mir – kann man ändern, wenigstens ein ganz klein wenig kann die Waagschale weiter zugunster der ihn Kennenden ausschlagen. Und ich schritt zur Tat, sprich zur Buchhandlung und ich sah, daß es gut war.

Arno Schmidt zu lesen und mit der Seelandschaft mit Pocahontas habe ich mir sicherlich ein gutes Stück von ihm ausgesucht, macht Spaß. Man kann es nicht anders sagen, es ist ein besonderes Leseerlebnis, in das man sich freilich erst einfinden muss :/: ignoriert Schmidt doch konsekwennt die Regeln der Ortografie, schreibt in einer 1:1 Abbildung der natürlich gesprochenen Sprache inclusiver einer eventuellen mundartlichen Färbung. Zudem erfindet er auch neue Begriffe zuhauf, so wie z.B. „eichelviolett“ als neue Farbe; der Text ist durchsetzt mit zum Teil wunderschönen Bildern… ein kleiner Eindruck:

(….“Binsen faßten sich an den Rispen und ringelreihten kurz ums Boot: : „Neenee. Komm mit!“)./ Die Bäume hupten und gebärdeten sich, als wollten sie in Staub aufgehen, Wind machte Kopfsprünge und die Büsche verjazzten verzerrter in ihren Mauerecken. Ein plumper Wolkensack schleifte quer über den Himmel, riß immer wieder, daß die grobe Jute faserte und die Messingbleche rausschlitterten: „Aber jetzt los Du!“ „

So kann einem der Wetterhimmel erscheinen, wenn man verliebt ist. Denn genau das ist ….Pocahontas, eine wunderbare kleine Liebesgeschichte aus der Nachkriegszeit, die im Krönungsjahr der englischen Königin, im Sommer 1953, spielt.

Dümmer in Niedersachsen, im Hintergrun die: Dammer Berge, Bildquelle: [1]
Dümmer in Niedersachsen, im Hintergrund die: Dammer Berge, Bildquelle: [1]

Auf den ersten Seiten der Erzählung begleiten wir den Ich-Erzähler auf seiner Bahnfahrt aus dem Saarland nach Niedersachsen. Er kommt an Trier vorbei, quert das bigotte Rheinland mit seiner Hochburg Köln und ist irgendwann dann an seinem Ziel in Diepholz, wo er sich mit einem ehemaligen Kriegskameraden trifft, dem Malermeister Erich Kendziak. Im Gegensatz zu ihm selbst ist der Handwerker etabliert, hat einen gut gehenden Betrieb und lädt den Ich-Erzähler daher ein, er hat die Mitel. Doch nicht Diepholz ist das endgültige Ziel der beiden, sie fahren weiter, bis sie am Dümmer [1] sind, diesem großen, flachen Binnensee etwas weiter südlich des Ortes. Dort mieten sie sich in einer Pension ein und treffen auf zwei Frauen, die offensichtlich allein reisen und in dieser Pension ebenfalls für ein paar Tage wohnen.

Man lernt sich – von den beiden Männer wird dies zugegebenermaßen forciert, man könnte sagen, sie baggern die Frauen an, stolzieren wie Hähne zu ihnen an den Tisch – kennen und tut sich zusammen, schnell sind die Paare, die sich wollen, gefunden. Der Ich-Erzähler namens Joachim Bomann [2], ist das Alter Ego des Autoren, Schriftsteller wie dieser, Kriegsteilnehmer, Heimatvertriebener und jetzt an der Saar wohnend, tut sich mit Selma zusammen, einer Frau, die groß zu sein scheint und nicht dick, die er anfänglich für häßlich hält (und die sich selber an einer Stelle als „Vogelscheuche“ tituliert), zu der sich aber eine immer größere Zuneigung entwickelt, da Seelenverwandtschaft vorhanden.

Im Grunde ist jetzt nicht mehr allzuviel zu erzählen [4]. Es entwickelt sich eine kleine, rührende Liebesgeschichte zwischen Selma und Joachim, nach kurzer Zeit schon teilen die beiden Paare ihre Zimmer so auf, daß sie zusammen mit ihren neuen Partner dort schlafen. Was Erich mit seiner Annemie macht, bleibt weitgehend unerwähnt, es ist aber davon auszugehen, daß auch diese ihren Spaß haben. Ab und an treffen Selma und Joachim auf die beiden, aber im Grunde sind sie froh, wenn sie alleine sind. So fliehen sie auch dem Urlaubsbetrieb häufig durch Bootsausflüge auf den See, dort sind sie ungestört in den Schilfgürtel zwischen Binsen und Enten, dort können die Lippen aufeinanderkleben und die Hände und die Arme laokoonartig auf Entdeckung gehen…. das Handtuch griffbereit, falls Fremdes in ihre Nähe kommt, geniessen sie dort Natur und natürliches…

Schilfgürtel am Südufer des Dümmers Bildquelle [3]
Schilfgürtel am Südufer des Dümmers; Bildquelle [3]

…. wir erknöpften uns nochleidlichstraffe Seligkeiten, und unsere Körper schmatzten eine gute Weile miteinander. In dieser sahnigen Nachttorte. Auch ihr Mund schmeckte wieder groß und saftig: wo ihr Haar aufhörte fing Strandhafer an : aber wo war das? Wo ihre Finger endeten begannen Halme : ohne Übergang. Die Stammstücke ihrer Beine; 3 moosige Winken. In unserem Gesichterbündel drehten sich langsam Augen und Flüster. …

Sie besichtigen, lassen sich auf dem See treiben, diskutieren über den Alltag und die Begebenheiten desselbigen. Sie bekommen Sonnenbrand und werden vom Regen durchnäßt, Gewitter gehen nieder und der Mond ist himmelstrohnend. Doch ihre gemeinsame Zeit ist begrenzt, nach einer letzten Nacht voller Hingabe und Tränen kommt der Abschied, Selma muss zurück zu den groben Menschen, die ihren Alltag bevölkern, kann nicht beim geliebten bleiben. Der wiederum erlebt den Abschied sprachlos, auch ihm wird mit Selma etwas aus dem Herzen gerissen, während Erich schon wieder die Busfahrerin taxiert.

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Im „Editorischen Nachwort“ zu der Sammelausgabe der Romane und Erzählungen „Geschichten aus Deutschland“ [5] wird Schmidt folgendermassen zitiert: „… Eines aber sollte jeder Dichter einmal leisten : ein Bild der Zeit uns zu hinterlassen, in dem er lebte! – Denn wenn ich Zustände und Denkweisen einer Epoche erfahren will, benütze ich mitnichten die Meßtischblätter der Historiker …. sondern ich nehme mir für, sagen wir 1770, den Werther zur Hand; ….. [hier folgen jetzt noch einige Buchtitel jener Epoche]“ . Wie von anderen gefordert, liefert auch und gerade Schmidt Beschreibungen dieser Zustände und Denkweisen. Es sind die Alltäglichkeiten, die Namen, die mit den Zeiten oft untergehen .. Schmidt nutzt die Regentage am Dümmer, um Nachrichtensendungen des Radios wiederzugeben, die er kommentiert und bei denen er aus seiner Meinung zur (damaligen) Politik der Adenauer-Ära und auch der Kirche keinen Hehl macht. Zeitungen, Illustrierten, Werbung: Schmidt nutzt alles, um die „Zustände und Denkweisen“ festzuhalten und zu überliefern.

Zu diesen Denkweisen der damaligen Zeit passt auch gut die Publikationsgeschichte der Erzählung, wie sie sich sehr anschaulich in den Ausführungen der Staatsanwaltschaft liest:

„Der Schriftsteller Arno Schmidt und der Redakteur und Schriftsteller Alfred Andersch werden angeklagt, zu Saarburg und an anderen Orten, im Jahre 1955, gemeinschaftlich handelnd, in Tateinheit, […]eine unzüchtige Schrift verbreitet zu haben, indem sie in der Zeitschrift Texte und Zeichen einen von dem Angeschuldigten Schmidt geschriebenen Kurzroman Seelandschaft mit Pocahontas veröffentlichten, der Religionsbeschimpfungen und Gotteslästerungen enthält und weiterhin Schilderungen sexuellen Charakters bringt, die geeignet sind, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gesund empfindender Menschen in geschlechtlicher Hinsicht zu verletzen.“ [zitiert nach 3b]

Überhaupt hatte Schmidt wohl Schwierigkeiten, für sein Stück einen Verleger zu finden, wie in [1] beschrieben lehnten sowohl Rowohlt als auch die Frankfurter Verlagsanstalt eine Veröffentlichung ab, teils mit Hinweis auf die „radikale Onanie von Schmidts Sprache“, teils wegen seines „sexuellen Aggregatzustands“ – was immer das auch heißt. Verklemmt, spießbürgerlich, muffig, geistig noch in alten Zeiten gefangen war Schmidt in Stil und Inhalt zu forsch, zu offen für diese Zeit. Das angestrebte Verfahren wurde letztlich dann aber doch (und gottseidank) – unter Anerkennung der Qualität des Textes und mit Hinweis auf die Kunstfreiheit niedergeschlagen.

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Die kleine Erzählung ist als Fließtext geschrieben und in insgesamt 18 Kapitel unterteilt, das heißt, es sind bekömmliche kleine Lese“happen“, die jeweils episodenhaft sich einem Thema widmen. Da Schmidts Sprache, wie man an den wenigen Zitaten oben sehen kann, nicht unbedingt realitätsnah-deskriptiv, sondern eher assoziativ-bildhaft ist, muss man vieles von dem Gelesenen erst für sich „übersetzen“ in Bilder, die vor dem geistigen Auge, das ja jeder von uns hat, dann als kleines Schauspiel ablaufen. Das erzeugt eine intensive Nähe zum Beschriebenen, da es auch Alltagssituationen sind, die man selber kennt, seien es nun die Beschreibung der Versuche Selmas, vom Wasser aus wieder ins Boot zu steigen oder die nächtlichen Anschmiegungen der Körper aneinander….

.. Ihr Fuß kam neben mir vor, groß, glatt, kalt; versuchte in mich zu schlüpfen,
unter mich, drückte an und bettelte mit langen Zehen um obdachne Wärme .
. Noch einmal dankte da der Streichelfuß. Als irrten wir durch den Orionnebel : glänzender Gedanke : ein Mädchen im Gepäck ….

… heißt es zum Beispiel im umkasteten Vorspann zum Kapitel XV. „Umkastet“: jedem Abschnitt ist ein Kasten vorangestellt, in dem Schmidt auf das Kommende einstimmt mit einem mehr oder weniger langen Text…

Zum Schluss kann ich nur jedem, der so wie ich Respekt und Zögerlichkeit Schmidt gegenüber hat(te), raten, es einfach mal mit dieser Erzählung zu probieren. Es ist ein wunderschönes Stück Literatur…..

Links und Anmerkungen:

[1] Wiki-Artikel zum Dümmer: http://de.wikipedia.org/wiki/Dümmer
Bild: CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)%5D, from Wikimedia Commons
Mehr Bilder vom See sind auch hier zu finden: http://www.bildergalerie-diepholz.de/html/duemmer.html
[
2] Wiki-Artikel zur Erzählung: http://de.wikipedia.org/wiki/Seelandschaft_mit_Pocahontas
Den Namen des Erzählers habe ich dieser Quelle entnommen, im Text habe ich ihn vllt überlesen…
[3] Rezensionen im Netz:
a) Thomas Wirtz: Paddeln mit Arno, in: FAZ vom 27.05.2000
b) Giesbert Damaschke: Arno Schmidt »Seelandschaft mit Pocahontas«, in: ASml-News
c) radiobremen: Arno Schmidt und der Dümmer See / Entstehung und Folgen der Erzählung „Seelandschaft mit Pocahontas“, 16. April 2013
d) bei Bonaventura ist der Hinweis auf die schöne Sonderausgabe der Erzählung von 2012 zu finden:  http://www.vigilie.de/2012/arno-schmidt-seelandschaft-mit-pocahontas/, vgl. auch: Marius Fränzel: „Dies wundersame Gemisch“ : eine Einführung in das erzählerische Werk Arno Schmidts (Link zu google.books)
[
4] Vielleicht sollte ich mir ein Beispiel an der Inhaltsangabe von Radio Bremen [3c] nehmen, die es wahrlich auf den Punkt bringen: „Der Plot der Geschichte ist schnell erzählt: Zwei Freunde verbringen einen Urlaub am Dümmer, lernen zwei Frauen kennen und haben Sex.
[5] Arno Schmidt: Geschichten aus Deutschland, Romane und Erzählungen in 2 Bänden, Suhrkamp-Verlag 2007 (Band 1: 251 – 297)
[6] Infos zum Autoren:
a) Webseite der Arno Schmidt Stiftung, Bargfeld: http://www.arno-schmidt-stiftung.de/
b
) Wiki-Artikel zum Autor: http://de.wikipedia.org/wiki/Arno_Schmidt

Arno Schmidt
Seelandschaft mit Pocahontas
Originalausgabe: 1955 in der Zeitschrift Texte und Zeichen (Luchterhand-Verlag)  [2]
diese Ausgabe: Geschichten aus Deutschland, Romane und Erzählungen in 2 Bänden, Suhrkamp-Verlag 2007 (diese Erzählung in Band 1: 251 – 297)

11 Kommentare zu „Arno Schmidt: Seelandschaft mit Pocahontas

  1. es ist schon lange her, daß ich mich an Texte vom Arno wagte und damals gescheitert bin, vielleicht weil ich zu ungeduldig war, nach Ihrer Besprechung habe ich sofort das kleine Bändchen geordert und es mit großer Begeisterung gelesen, konnte das sprachspielerische Geschehen besser aufnehmen. Es war und ist wirklich ein Lesevergnügen.
    Haben Sie Dank für die Leseverführung -:)))

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  2. Oh wie toll, dieses kleine Stück Literatur steht bei mir noch im Regal und will gelesen werden. Bei den ersten Zeilen deiner Rezension dachte ich: Oje, hier jirglt’s möglicherweise gewaltig, beim weiteren Lesen – vor allem der Textausschnitte – fühlte ich mich dann aber an Clemens Setz erinnert: Wie die beiden Autoren Bilder verwenden (und erschaffen), zaubert mir ein Schmunzeln ins Gesicht. Das ist irgendwo zwischen amüsant und unendlich poetisch. Danke für die Buchvorstellung, jetzt werde ich sicherlich nicht mehr zögern, Schmidt zur Hand zu nehmen.

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    1. ok, liebe caterina, jetzt weiß ich das neue verb „jirglt“ einzuorden. obwohl – ich muss bekennen, bei solche teilweise experimentellen texten bin ich mir nie sicher, ob es wirklich etwas bemerkenswertes ist, oder ob man einfach des kaisers neue kleider bestaunt – vllt sogar bejubelt… ;-)
      nein, schmidt zu lesen hat wirklich vergnügen gemacht, weil er auch die gewohnten sichtweisen auf den kopf stellt, ohne daß er dabei den boden verläßt. bei ihm hängt halt nicht der schweif am ross, sondern letzteres läuft vor ersterem daher… ich bin gespannt, mit welchen eindrücken du die geschichte von pocahontas (allein schon dies: in den 50er jahren, jahrzehnte vor disney, wer kannte da in deutschland schon diese indianerin!) erlebst!
      lg
      fs

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