Sasha Grey: Die Juliette Society

Nähme man Sasha Grey einerseits und z.B. Alice Schwarzer andererseits, so würden diese beiden Frauen in etwa die beiden extremen Pole des überhaupt mögliche Spektrum an Einstellungen zu Pornographischem abdecken. Während Schwarzer sich fundamentalistisch und unbeirrt von Gegenargumenten dem Kampf gegen z.B. auch ProNOgraphie verschrieben hat, hat sich Grey als junge Frau nach entsprechender Vorbereitung (körperliches Fitnesstraining, wie kolportiert wird) aktiv in die Pornofilmszene eingeklinkt, da sie hier, wie sie in diesem Interview [2] erzählt, die Möglichkeit hatte, die Grenzen ihrer Sexualität in einem gesicherten Umfeld, mit Menschen, die sie kennt und die gesund sind, auszutesten. Dafür dann auch noch bezahlt zu werden, war sicherlich keine Abschreckung – denke ich mir.

Egal. Grey hat ihre Grenzen ausgetestet, es dürfte nicht viel sein, was nicht ausprobiert worden ist in ihrer ersten Karriere. Da sie aber zweifelsohne intelligent genug ist, hat sie sich nicht verschlissen, sondern ist sozusagen ins ernste Fach gewechselt und versucht sich durchaus mit Erfolg als Musikerin, Filmschauspielerin und Autorin. Womit wir bei letzterem und endlich beim Buch sind: Die Juliette Society.

Nomen es Omen: Der Name Juliette ist kein unbekannter in der erotischen Literatur, die Figur, die dahinter steckt, ist die einer jungen Frau, an der der Autor zeigt, daß – im Gegensatz zu Justine, die die Tugendhaftigkeit verkörpert – in der Welt, wie sie existiert das Laster, die Verderbtheit, der Tabubruch, die Perversion siegt. Der entsprechende historische Roman vom göttlichen Marquis ist „Juliette oder die Vorteile des Lasters“ [3], der im Zusammenhang zusehen ist mit „Justine oder das Missgeschick der Tugend„. So läßt schon der Titel des Romans Rückschlüsse auf das zu, was einen beim Lesen erwartet….

Nun, die Hauptfigur des Buches ist Catherine, eine junge Frau, Studentin der Filmwissenschaften, fest liiert mit Jack, einem jungen, intelligenten Studenten, der auch als Wahlkampfhelfer für einen aufstrebenden Politiker arbeitet. Im Bett seinen Mann durchaus zufriedenstellend stellend, steht er jedoch Neuerungen, wie z.B. impulsiven Aufforderungen Catherines: „Schlag mich, schlag mich, so fest du kannst“ nicht aufgeschlossen gegenüber, nein, er ist und fühlt sich abgestoßen und treibt seine Freundin damit weiter in die Welt der Fantasie.

Nomen est Omen 2: Natürlich ist auch der Name Catherine für das Alter Ego Greys nicht ohne Bedacht gewählt: 1967 spielte Catherine Deneuve die Hauptrolle der Severine (Severus (lat.) = streng) in dem Buñuel-Film: Belle de Jour (Schöne des Tages), sozusagen also das Tagesgericht im Bordell, in das die im realen Leben spröden Frau durch ihre geheimen Wünsche und Fantasien nächtens zur Arbeit getrieben wird.

Dieser Film befeuert die Fantasie unserer Catherine und zum Objekt ihrer Begierde (neben dem realen Jack) ihr Dozent Marcus, den sie anhimmelt und auf den sie ihre Lüste projiziert. Nein, es ist nicht so wie man denkt: jener Marcus nämlich ignoriert sie völlig, straft sie mit Nichtachtung. Aber sie fällt einer Kommilitonin auf, der schönen Anna. Und diese erzählt ihr nun einige Details aus dem Marcus´schen Intimleben, das sie, Anna, recht gut zu kennen scheint, da sie es des öfteren mit ihm gestaltet….

In der Folge wird Anna zum Vorbild für Catherine, zur Führerin, denn sie scheint Fantasien nicht nur zu haben, sondern sie auch auszuleben – und sie ermuntert Catherine, diesen Weg mit zu gehen. Welcher das ist, erfährt Catherine in sozusagen drei Stufen: zum ersten im Internet, in dem sie auf den entsprechenden Seiten Anna ihre Submissivität ausleben sieht und von der Mischung aus Ekstase, Lust und Schmerz immer mehr angezogen wird. Der zweite Schritt, den sie mit Anna geht, führt sie real in die Welt der Stricke, der Peitschen und des Schmerzes ein: sie besuchen die „Fuck Factory“, eine stets wandernde (weil von der Obrigkeit verfolgte) Selbsthilfegruppe, nein, nein: natürlich Örtlichkeit, in der es keine Tabus gibt, jeder sich seinen Lüsten hingeben kann, in der alles möglich scheint… Das die Örtlichkeit geheim ist, nur schlecht zu erreichen, unterirdisch, labyrinthisch, dunkel, feucht, glitschig, sozusagen: Blood, Sweat and Sperm – ja, natürlich, so ist es.

Aber es geht auch anders. Catherine und der von ihren Lüsten geschockte Jack haben sich mittlerweile für eine Zeitlang getrennt. Bundy, ein schmieriger Typ, der das Internet mit Blowjob-Fotos (und anderen voyeuristischen Ergüssen), von Mädchen, die er auf der Straße anquatscht, füttert, ist Dreh- und Angelpunkt für die wirklich heißen Parties, die Treffen, an denen die Mächtigen teilnehmen, die Treffen, an denen es wirklich kein Tabu mehr gibt, in denen Sex und Macht verschmelzen bis hin zur Macht über Leben und Tod: die Juliette Society, die sich – so die etwas schwurbelige Erläuterung – in der Tradition jahrtausende alter Mysterienkulte sieht….

… das, denke ich, sollte zum Rahmen, in dem die Handlungen ablaufen, reichen….

Ich, Jack, ein echtes Kaminfeuer, Analsex und ein Cream Pie.

You can get it if you really want…but you must lube…..  Catherine ist ihren Weg gegangen, bis zum Schluss, bis fast zum endgültigen Schluss. Und sie ist wieder mit Jack zusammen … and she got it… auch wenn das Ende seltsam offen bleibt, denn Jack ist immer noch der Jack, der sich nicht verändert hat, der sie nicht schlagen will, aber ob Catherine die Sehnsucht nach Unterwerfung verloren hat, ist nicht gesagt….

In dem Buch spielen Träume, Fantasien eine große Rolle, es ist eine stark surreale Komponente im Roman. Die beschriebenen Szenerien der sexuellen Ausschweifungen erinnern zum Teil an Settings bei Indiana Jones, wenn dieser durch den vor Feuchtigkeit tropfenden Urwald stapft, vorbei an Götzenbildern, wenn er die Tempelanlagen stürmt, in denen die Massen der Versklavten um ihr Leben schuften. Bei Catherine sind es die Fußböden, die bedeckt sind von sich windenden Leiber, die eine lebendigen Teppich bilden, denen einzelne Extremitäten und andere Körperteile nicht mehr zuzuordnen sind, die kopulieren und penetriert sind, die blutig und ohnmächtig von der Menge verschluckt werden und verschwinden… es ist ein Taumel der Entgrenzung, der höchste Gipfel der Lust, so wie schon bei Gamiani der Tod als  und im ultimativer/m Orgasmus herhalten musste [4]….

Catherine und Anna… zwei Seiten einer Person. Catherine, noch suchend und in ihren Fantasien gefangen und Anna, die den „Mut“ hat und ihren Weg schon geht, gegangen ist. Sie ist das Verlangen, die Neugier, die Treibende, die Forsche, die sich zu sich Bekennende, diejenige, die Catherine mitzieht und ermuntert. Folgerichtig verschwindet Anna im Lauf der Geschichte, tritt immer weiter in den Hintergrund: Catherine hat sie nicht mehr nötig.

Ich habe vom etwas unbefriedigenden Ende des Buches gesprochen, denn man kann sich nur schwer vorstellen, daß Catherine, die sich zur ihren Lüsten bekannt hat, sie ausgelebt hat, sich jetzt mit ihrem Jack, der noch derselbe ist wie immer, zufrieden geben kann. Das einzige, was Jack auszeichnet, ist die Tatsache, daß Catherine sich erträumt, mit ihm alt zu werden – vllt ist dies der Unterschied, ein Gefühl, das man Liebe nennen kann und das den Unterschied macht zur puren Vögelei? Die Tatsache, daß sie ihre Gelüste und Vorlieben vor ihm verbergen muss/will, desavouiert jedenfalls ihre eigene Botschaft…

Das Buch als Buch.. es ist uneinheitlich. Es gibt Passagen darin, die gut zu lesen sind. Wenn Grey sich auf´s Erzählen, auf´s Beschreiben, Schildern beschränkt, fließt der Texte so wie die Säfte, denen sie sich widmet… es gibt Passagen, in denen sich die Autorin auch kritisch gibt gegen die Scheinheiligkeit zum Beispiel der Presse, gegen die Dummheit vieler junger Frauen und Mädchen, die schleimigen Typen auf den Leim gehen. Holprig wird der Text häufig dann, wenn Grey reflektiert, wenn sie versucht, zu ergründen warum dies und das und nicht jenes. Dann werden auf einmal die Sätze ganz kurz, am Ende des Absatzes wird noch einmal wie mit dem Dampfhammer mit einem Drei-Wort-Satz eine Art Ausrufezeichen gesetzt.

Aber lassen wir das.

Wer in´s Kino geht, ist klar im Vorteil. Catherine, die Filmstudentin verknüpft Situationen mit Filmen, an die sie durch nämlich erinnert wird. Das ist ganz praktisch, da sie dadurch einer ausführlicheren Schilderung enthoben wird, es ist recht unergiebig für denjenigen, der den Film nicht kennt… als Stilmittel werden diese Entsprechungen überstrapaziert..

Was bleibt vom Buch? Nun, es ist sicher kein Werk, das in die Weltliteratur eingehen wird. Ob es den Sinn und Zweck erfüllen wird, den Grey ihm mit auf den Weg gegeben hat, nämlich junge Frauen zu ermuntern, wie sie bzw. ihr Alter Ego, auch sexuell ihren eigenen Weg zu gehen und sich auszuprobieren, sei dahin gestellt, denn – wie schon erwähnt – bekennt sie sich selber nicht zu ihren Wünschen, ist sie nicht authentisch. Lesbar ist das Buch auf jeden Fall, und wer sich ab und an erotischer Literatur widmet, sollte den Versuch ruhig wagen….

Links und Anmerkungen:

[1] Sasha Grey zu ihrem Buch (Videoclip): http://www.randomhouse.de/SPECIAL_zu_Sasha_Grey_Die_Juliette_Society/aid47364.rhd?aid=47364. Eine Autorin, die sich hier im hochgeschlossenen Schulmädchenlook präsentiert, mit einer fast maskenhaften Mimik… Die Kleidung erinnert mich an die Auftritte von Roche bei Lesungen ihrer „Feuchtgebiete“, die sie mit Zopf und Blümchenkleid abhielt, z.B. hier: http://www.focus.de/fotos/charlotte-roche-bei-einer-lesung-aus-feuchtgebiete_mid_440131.html
[2] Interview mit Sasha Grey bei Spiegel online: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sasha-grey-juliette-society-a-929357.html
Juliette_Sade
[3] Wiki-Beitrag zu „Juliette“: http://de.wikipedia.org/wiki/Juliette_(de_Sade). Da Bilder bekanntlich mehr sagen wie Tausend Worte, ist die Bildersuche nach „Juliette de Sade“ recht erhellend, wenngleich nicht unbedingt entzückend, das kleine Vorschaubildchen vermittelt einen ersten Eindruck dessen, was einen erwartet….
[4] Alfred de Musset (zugeschrieben): Gamiani https://radiergummi.wordpress.com/2012/05/08/alfred-de-musset-zugeschrieben-gamiani/

weitere Besprechungen erotischer Literatur gibt´s auf meinem Themenblog

Sasha Grey
Die Juliette Society
Übersetzt aus dem Englischen von Carolin Müller
Originalausgabe:
diese Ausgabe: Heyne Hardcore, HC, ca. 320 S., 2013

4 Kommentare zu „Sasha Grey: Die Juliette Society

  1. Ich finde den Stil der Rezi ungewohnt, weil er wesenlich höher und durchdachter ist als andere. Allerdings schätze ich die Anmerkungen. Aber die kleine Schrift :-(

    Beim Buch schwanke ich zwischen Sensationsgeilheit und der Erkenntnis (nach einer Leseprobe), dass dieses Buch etwas Anziehendes hat und mich als Leser weiterbringt – ähnlich wie Shades of Grey.

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    1. die schriftgröße kann ich leider beim schreiben nicht beeinflusen, aber über deinen browser solltest du die möglichkeit haben, das was zu verstellen…

      ob das buch einen weiterbringt, kann ich nicht beurteilen, aber das ist ja auch etwas sehr persönliches.

      lg
      fs

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  2. Sehr cool, dein ironisch-flapsiger Ton, super zu lesende Rezension! Das Buch aber, ich weiß nicht … Hab eher nur Schlechtes darüber gelesen, es lockt mich nicht so. Zu aufgebauscht durch den Rummel um ihre Person?

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    1. es gibt sicherlich (nicht zuletzt „dank“ des modern gewordenen e-publishing) uninteressantere ergüsse im bereich erotischer literatur als diesen. es verblüfft halt immer noch, daß jemand, der einer körperbetonten tätigkeit nachging, weiter zählen kann als bis drei und auch sätze formulieren kann, die über „besorg´s mir!“ hinausgehen. das passt halt immer noch nicht zusammen (was rückschlüsse auf die geselllschaft erlaubt) und kann andererseits auch gerade deswegen gut vermarktet werden. es ist schon ähnlich wie bei den feuchtgebieten… ohne den namen „sasha grey“ hätte das buch diese aufmerksamkeit wohl nicht bekommen. aber man weiß es nicht, die shades of grey sind ja auch aus dem nichts hoch gespült worden…

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