Jorge Edwards: Der Ursprung der Welt

d-100_bearbeitet-1er Ursprung der Welt“ (L’Origine du monde) ist ein mythenumwogtes Gemälde des französichen Malers Courbet, das dieser 1866 im Auftrage des türkischen Diplomaten und Kunstsammler Halil Şerif Paşa, (Khalil Bey) gemalt hat. Im Gegensatz zu anderen Aktmalereien, die dieser Sammler von Courbet gemalt bekam, zeigte Khalil Bey diese naturgetreue Wiedergabe des dichtbehaarten Geschlechts einer Frau, deren Gesicht und Körper ansonsten teilweise verdeckt ist, nicht in der Öffentlichkeit. Verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit, provozierend durch Motiv und Art der Malerei war das Gemälde schnell skandalumwittert und ein Objekt von Spekulationen und Gerüchten.

Interpretationen und Deutungen des Bildes finden sich natürlich zuhauf, unter anderen hier online in der Wiki [1], dort ist natürlich auch das Bild selbst wiedergegeben… als Bücherliebhaber greift man selbstverständlich lieber zu gedruckten Werken, die sich über den Ursprung der Welt auslassen und in denen es auch in Zusammenhang mit anderen Werken Courbets gesetzt wird [2].

Courbet, das möchte ich noch vorausschicken, hat sich ein besonderer Realismus in die Malerei eingeführt. Waren weibliche Figuren, Akte, seit alters her wohl ein beliebtes Motive, wurden sie jedoch fast immer in idealisierter Form, stilisiert oder ikonenhaft dargestellt. Der Franzose jedoch zeigte auch – um dem Sinne nach die Dame in Blau zu zitieren – „die Problemzonen“ des weiblichen Körpers, Unreinheiten der Haut, Proportionen, die nicht dem klassischen Ideal entsprechen und was es da im wirklichen Körper sonst noch geben mag [3]…. hinter der „Dame in Blau“ ist übrigens ein Bild zu sehen, auf dem eine Frau wallendem roten Haar zu sehen ist, die schöne Irländerin Joanna Hiffernan, die der Vermutung nach Modell gelegen hat für Courbets Ursprung.

Wie auch immer die Geschichte des Bildes nun weitergelaufen ist (Khalil Bey musste es zwei Jahre nach dem Erwerb aus finanziellen Gründen abgeben), es läßt sich in den angegebenen Quellen nachlesen. Jedenfalls, und damit nähere ich mich dem Buch (der gute Jorge Edwards wird ob meiner ausschweifenden Einleitung schon ungeduldig mit den Hufen scharren…), denn seit 1995 hängt das Bild Courbet-origine-monde museum im Musée d’Orsay. Dorthin gekommen ist es durch einen Erbschaftssteuerhandel, den Silvia Bataille [4] die Witwe des letzten Besitzers Psychoanalytiker Jacques Lacan nach dem Tod ihres Mannes mit den Behörden einging…

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In jenem Museum jetzt treffen wir nämlich itzo auf Dr. Patricio Illanes, einen noch gut erhaltenen 70jährigen Arzt, der zusammen mit seiner ungefähr 20 Jahre jüngeren Frau Silvia (sic!) in Paris im Exil lebt und sich dort gut eingerichtet hat. In Paris existiert eine kleine Gemeinde von exilierten chilenischen Intellektuellen, die nach dem Militärputsch das Land verlassen mussten und die sich hier niedergelassen haben. Ihm also, Patricio, genannt Patitio, kommt beim Betrachten, dem Studieren des Gemäldes die Ähnlichkeit der Formen, der Gestalt mit seiner Frau, mit Silvia, ins Auge. Er sagt ihr, die ihn begleitet, dies („Das ist deine guatita!“) und erwähnt, daß ein gemeinsamer Freund, der ein paar Jahre jünger ist als er, Felipe Diaz, ein Don Juan wie er im Bilderbuch steht, es liebt, obszöne Fotografien von seinen Eroberungen zu machen.

Das Bild, dieser Gedanke, diese Ähnlichkeit der Schenkel, der Haare… sie werden zur Manie des Patitio, der seine Frau in dieser Nacht diese Pose einzunehmen bat, mit bedecktem Gesicht, geöffneten Beinen. Ein Foto müsse er machen, neckte er Silvia, wie es vllt Felipe Diaz gemacht hätte an seiner statt. Silvia ist empört, bittet ihn, sie in Ruhe zu lassen, sie sei müde…

Patitio und Felipe treffen sich, Felipe, der alternde Lüstling, der dem Alkohol zuspricht, erzählt von seiner neuesten Eroberung, bei der er zu seinem Kummer als Mann völlig versagt, die aber gerade deswegen bei ihm bleiben will. Das Motiv bleibt unklar, ist es das Versagen als Mann? Jedenfalls findet Patitio Felipe, der entgegen seiner Gewohnheit kurze Zeit später eine Verabredung nicht eingehalten hatte, mit einer Überdosis Schlaftabletten in seiner Wohnung tot auf. Und noch jemand taucht plötzlich in Felipes Wohnung auf und ist zu Tode erschrocken: Silvia.

Warum? Ein Verdacht taucht auf bei Patitio und wie es ist mit solchem Verdacht: er nährt sich selbst, zieht Kraft und Stärke aus der Eifersucht, die er weckt… und so geht Patitio heimlich noch einmal in des Verstorbenen Wohnung und durchwühlt sie. Und er findet, was er sucht: das Foto einer Frau wie auf besagtem Gemälde und ein Passfoto Silvias und von nun an kann ihn nichts mehr von der Überzeugung abbringen, seine Frau hätte eine Affäre gehabt mit seinem alten Freund….

Patitio sucht die Bestätigung des Verdachts und befragt alle Bekannten und Freunde, die unter Umständen von dem Verhältnis gewusst haben könnten. Und je mehr diese ihn einen Idioten schimpfen und wie absurd der Gedanke allein sei, desto mehr ist er von dessen Richtigkeit überzeugt. Er macht sich zum Narren, merkt es selbst, kann sich aber nicht dagegen wehren und schließlich bleibt ihm nur noch eine, die er fragen kann, die er in seinen Verdacht einweihen muss, da er spürt, wie ihn die Unsicherheit, das Nichtwissen (lieber noch, viel lieber als dieses wäre ihm sogar die Gewissheit, daß die Frau auf dem Foto seine wäre, damit könnte er leben…) langsam aber sich verrückt macht: Silvia selbst…

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Das Büchlein läßt sich grob in zwei Teile gliedern. Im ersten Teil, den ich bis zum Auffinden der Leiche des Felipe und dem Auftauchen von Silvia ansiedele, wird uns die Situation im allgemeinen vorgestellt. Wir erfahren einiges über das Ehepaar Illanes, über Felipe Diaz, über die Situation, auch über die verschiedenen Gruppen der Exilanten mit ihren jeweiligen Animositäten, die Eigenheiten der Exilchilenen in Paris. Im zweiten Teil übernimmt die Schilderung des grotesken Fragelaufes Patitios die Regie und damit die Eifersucht bzw. die zerstörerische Kraft der Nicht-Gewissheit, des Verdachts. Mit den Nebenfiguren des Romans, die Edwards hier einführt, deckt er ein Spektrum teilweise skurriler Gestalten ab: die Figur der Concierge taucht auf, ein die freie Liebe predigendes Intellektuellenehepaar, eine hexenartige Kupplerin….

Erzählt wird dies alles aus wechselnden Perspektiven, wenngleich das meiste in Form einer Ich-Erzählung wiedergegeben wird. Interessant ist das letzte Kapitel des Büchleins, das Silvia zur Erzählerin hat, der Patitio alles gebeichtet hat, seinen Verdacht, seine Eifersucht, seine Qualen. Und Silvia antwortet ihm und sie spürt mit der Intuition, welches die richtige Antwort ist, die Antwort, die sie geben muss und die richtige Antwort muss hier nicht unbedingt auch die Wahrheit sein und sie spürt es am eigenen Leib und am Leib ihres Mannes, daß sie die genau die Antwort gegeben hat, die Patitio brauchte.

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„Der Ursprung der Welt“ ist ein kleiner, feiner Roman über die menschlichen Schwächen.. nein, über die der Männer eher, über die Eifersucht, die sich selbst erhält und nährt und so großartig zu wachsen versteht, die ihren Träger zum Narren macht und an den Abgrund führt. Mit leichter Hand geschrieben begleitet Edwards seinen Helden durchaus wohlwollend auf dessen Leidensweg, den er mit einem einzigen elementaren Akt enden läßt. Er zeigt aber auch, welche Kraft zur Erneuerung in dieser Eifersucht liegen kann, sie muss nicht zerstören wie sie es so oft tut, sie kann auch die Leidenschaft anfachen, das Auge, den Sinn für den/die Geliebte wieder öffnen… und nebenbei porträtiert der Autor in groben Strichen (es ist ein schmaler Roman) auch die chilenische Exilgesellschaft in Paris, die von der Heimat träumt, vom realen Kommunismus geheilt (?) ist und die sich der Emphase ihrer Jugend mit einer gewissen Gelassenheit erinnert.

Ob es ein „großer“ Roman ist, vermag ich nicht zu urteilen, ein langer ist es jedenfalls nicht. Es ist ein Buch für ein paar unterhaltsame Stunden, eine spritzige Studie über eine menschliche Schwäche, mit Humor und Sympathie für die Protagonisten geschrieben. Und es ist eine Hommage an ein wunderschönes, aufregendes Gemälde….

Links und Anmerkungen:

[1] Wiki-Artikel zum Bild, auch Quelle der Abbildung
[2] z.B. diesem hier, welches in meinem Regal zu finden ist: Metken G: Der Ursprung der Welt, Prestel 1997
[3] Courbet: Ein Traum von der Moderne, Ausstellung im Schirn, Ffm, 2011
[4] auf den Vornamen „Silvia“ werden wir übrigens noch einmal treffen im Lauf der Geschichten…

Jorge Edwards
Der Ursprung der Welt
Übersetzt aus dem chilenischen Spanisch von Sabine Giersberg
diese Ausgabe: Klaus Wagenbach Verlag, HC, ca. 162 S., 2005
Erstausgabe: El Origen del mundo, Barcelona, 1996

Ein Kommentar zu „Jorge Edwards: Der Ursprung der Welt

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