Als kubanischer Schriftsteller wird man kaum an Hemingway vorbeikommen, der viele Jahrzehnte auf der Insel, in der Nähe Havannas, lebte. So ist auch Padura diesem amerikanischen Autor in einer Art Hassliebe verbunden, denn der Mensch Hemingway, so schält sich im Lauf des Buches auch für den Leser heraus, ist keineswegs ein reines Vorbild…
In der Eingangsszene läßt der Autor seine Hauptperson, den ehemaligen Kommissar Conde, als kleinen Jungen noch, den berühmten Schriftsteller persönlich sehen, mit seiner Yacht kam dieser vom Meer, verabschiedete sich dann von seinem kubanischen Bootsführer – es sah nach einem bedeutsamen Abschied aus – und ging fort….
Die Geschichte wird aus der Perspektive von Mario Conde erzählt, einem aus dem Dienst ausgeschiedenen Kommissar der Kriminalpolizei, der vor Jahren seinen Dienst quittierte und sich jetzt als Schriftsteller und Antiquar durchs Leben schlägt. Er wird von seinem Nachfolger Manolo Palacios „reaktiviert“, denn auf dem Grundstück der jetzt als Museum eingerichteten ehemaligen Finca Hemingways sind Knochen gefunden worden, Menschenknochen, und das letzte, was man haben möchte, ist Hemingway als Mörder. Also muss untersucht werden, was damals, vor ca. 40 Jahren passiert ist, passiert sein könnte, wer dieser Tote war, den offensichtlich niemand vermisst hatte, wie er zu Tode gekommen ist und wenn, wer es war.
Noch weiter an Brisanz gewinnt der Fall, als bei der Spurensuche eine FBI-Marke gefunden wird, die nahelegt, daß es sich bei dem Toten um einen Agenten gehandelt hat. Zumindest würde dies erklären, daß dessen Verschwinden seinerzeit nicht an die große Glocke gehängt wurde…
In Conde streiten zwei Empfindungen: zum einen wäre es für seinen „Hass“ auf Hemingway sehr befriedigend, diesen als Mörder zu entlarven, auf der anderen Seite gibt es diesen Gerechtigkeitsinn in ihm, den „richtigen“ Täter zu finden. So versucht sich Conde, in diese lang zurückliegenden Zeiten einzufinden. Er schaut sich den Fundort an, die ehemaligen Übungsarena für die von Hemingway so geliebten Kampfhähne unter einen schattigen Baum, er streift durch die Zimmer der Finca und versucht, sich das Bild des Schriftstellers vor Augen zu rufen.
Waffen zu tragen und zu töten waren für Hemingway zu einer Chiffre geworden für Männlichkeit und Mut. Er selbst hat Tausende von Tieren getötet, schon als Junge, nachdem er sein erstes Gewehr von seinem Großvater geschenkt bekommen hatte, wurde das Schießen und Töten zu seiner Lieblingsbeschäftigung. So entblättert Padura im Lauf seiner Geschichte den berühmten Schriftsteller langsam aber sicher, er schält ihn aus der Aura der Berühmtheit, des Sakrosankten heraus und zeigt den schäbigen Menschen, der hinter dem Ruhm steckt. Ein Mensch, der viele seiner Freunde verraten und missbraucht hat, ein misstrauischer Mensch, der trotz der vielen Jahre auf Kuba nicht viel von der Insel wusste, die Menschen nicht kennengelernt hat. Er umgab sich mit einem kleinen Kreis von Arbeitern und Angestellten, mit wenigen war er vertraut. Gesellschaften mied er oder er benahm sich, wenn er hinging, so, wie es ihm gerade passte. Auch das Schreiben.. Padura ortet die Fähigkeit zum Schreiben im Erleben, Hemingway konnte nur über das schreiben, was er auch erlebt hatte. Er musste in den Krieg ziehen, um über den Krieg zu schreiben, er musste in Afrika auf Safaris Tiere abschießen, um über Afrika schreiben zu können, er konnte „Der alte Mann und das Meer“ nur schreiben, weil er selbst aufs Meer gefahren ist und gefischt hat… Wenn überhaupt, waren diese einfachen Menschen, die Fischer, die ihm in der Bucht von Cojimar eine Bronzestatue gestiftet haben, ihm wirklich verbunden….
Langsam nähert sich Conde dem, was damals geschah. Er kann sich einfühlen in Hemingways damaliges Leben, das diesem immer mehr zerrann. Das nachlassende Gedächtnis, das immer stärker werdende Gefühl, verfolgt zu werden, das Versagen beim Schreiben, die körperlichen Einschränkungen mit dem Alter und den Belastungen des Lebens. Nicht mehr Trinken, mit den Frauen ist es auch nicht mehr so wie früher, nicht mehr schreiben können, .. Hemingway hockt dort wie ein Vogel, dem die Flügel gestutzt wurden. Schwermut findet bei ihm eine Heimstatt…. Conde trifft noch lebende Angestellte Hemingways, im hohen Alter zwar, aber sie erinnern sich und so tauchen aus dem diffusen der Erinnerungslosigkeit langsam Konturen auf von dem, was geschehen sein könnte…
Padura erzählt die Geschichte in zwei Strängen. Zum einen die Ermittlungsarbeit des ehemaligen Polizisten Conde, der auch einem Fläschchen Rum unter Freunden nicht abgeneigt ist, zum anderen schildert er die damalige Geschehnisse aus der Sicht Hemingways, der an seinem Verfall verzweifelt. Beides strebt parallel auf den Schlusspunkt zu: was hat sich damals, in dieser einen Nacht ereignet? Und am Ende haben sich nicht nur die Ereignisse geklärt, so wie sie sich nach so langer Zeit noch klären lassen, auch Conde hat sich seinem ehemaligen Idol wieder angenähert und seinen Frieden mit ihm gemacht.
Ein sehr schöner, spannender Roman, ein maskuliner dazu, denn Frauen kommen praktisch nicht vor, sieht man mal von Ava Gardner ab, die einen schwarzen Slip zur Handlung beisteuert. Und die kochenden Mütter der Freunde, die deren Rumgelage mit fester Nahrung unterfüttern. Eine kraftvolle Abrechnung mit einer Legende, bei der am Ende ein armseliges, einsames Stück Mensch übrig bleibt.
Links und Anmerkungen:
– Wiki-Artikel zu Hemingway
– Hemingsway Biographie bei yovisto
– die Bildersuche nach „Finca La Vigía“ gibt eine Vielzahl von Treffern
– Leonardo Padura: Ein maßgeschneiderter Hemingway „Nachwort“ des Autoren zum Buch
– Marcel Reich-Raniski zu Hemingway: (i) Außenseiter und Abenteurer und (ii) Ein Weltmeister im Selbstlob
Leonardo Padura
Adiós Hemingway
übersetzt von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag, HC, 192 S., 2006
„Der alte mann und das meer“ liegt noch vor mir. Da es nicht zu seiner Spanienthematik gehörte, hab ich es erstmal weiter weg geschoben aber Du hast Recht: gelesen wird das auch noch!
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Ich fand das Buch auch sehr gelungen. Obwohl ich nicht so gern Kriminalromane lesen, hat mich die Geschichte sofort gefangen genommen. Ich hatte mir das Buch aufgrund des Schriftstellers, des Themas und des Covers (sprach mich sofort an) gekauft.
Hemingway habe ich bis jetzt nur in Verbindung mit dem Thema Spanien gelesen. Seinen Roman „Wem die Stunde schlägt“ kann ich nur uneingeschränkt empfehlen.
LG
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padura bezeichnet hemingway ja als einen der wirkungsmächtigsten schriftsteller des letzten jahrhunderts, trotz all seiner kritik an ihm. eine art hassliebe eben. „wem die stunde schlägt“ hatte ich neulich noch in der hand und wieder weggelegt. werde ich also wohl doch wieder in die hand nehmen müssen… zumindest mal reinlesen und dann entscheiden. was ist mit dem „alten mann und das meer“? kennst du das auch und wenn, warum!? das könnt ich nämlich auch in die hand nehmen…
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Oh toll, dann kann ich mir hier ja schon demnächst auf eine Rezension zu „Madame Hemingway“ freuen … ;)
Mich beruigt es, dass ich nicht die einzige bin, die nicht viel – bzw. gar nichts – von Hemingway gelesen hat. Da muss ich mich wohl nicht zwangsläufig als Literaturbanause fühlen …
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aaaalso.. ein wenig wird es noch dauern mit der madame, es sind noch so viele vorher dran… ;-)
aaaalso2.. nein, ich denke nicht, daß man sich als banause fühlen muss, wenn man hemingway nicht kennt. man kann nicht alles kennen. schließlich ist die lebenszeit, die zur verfügung stehende lesezeit allemal, gegenüber der existierenden und möglichen zahl von büchern allemal verschwindend kurz….
lg
fs
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Herzlichen Dank für diese interessante Vorstellung, die mein Interesse geweckt hat … weder von Hemingway (muss ich zu meiner Schande gestehn!), noch von Leonardo Padura habe ich bisher etwas gelesen.
Von Leonardo Padura habe ich bisher nur schon häufiger den Roman „Der Mann, der Hunde liebte“ in der Hand gehabt … finde ihn nur einfach so unverschämt teuer.
„Adiós Hemingyway“ wird aber auf jeden Fall vorgemerkt und kommt auf meine Wunschliste!
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das freut mich. ich werde mir auf jeden fall noch das vielfach empfohlene „madame hemingway“ einverleiben.
gelesen habe ich auch nicht sonderlich viel von hemingway, wenn ich ehrlich bin, nur „Schnee auf dem Kilimandscharo“. und jetzt nach dem padura ist er mir als mensch nicht unbedingt sympathischer geworden… ;-)
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