Mikkel Birkegaard: Die Bibliothek der Schatten

„Lies doch am Ende der Stunde dieses Gedicht mal vor!“ Es ist bekannt, daß ich gerne vorlese und so bin ich auch in unserer Gruppe der Vorleser „vom Dienst“. Es ist ein Gedicht, daß von einem jungen Mann handelt, der krank ist und sterben wird. Ich kenne es nicht, aber beim Lesen finde ich sehr schnell den Fluss, ich sehe die langsamen, nachdenklichen Stellen, aber auch die zoRRnigen, wütenden, verzweifelnden und klagenden. Ich habe das Gefühl, nicht ich lese das Gedicht, sondern das Gedicht läßt sich von mir lesen. Als ich fertig bin, kommen ein paar zu mir und sagen, sie hätten richtig Gänsehaut bekommen.

Vielleicht hat Birkegaard so ein Erlebnis vor Augen gehabt, als ihm die Grundidee für sein Buch kam. Es handelt von Menschen, die entweder „lettore“ sind oder „Empfänger“ (wieso gibt es hier nicht einen entsprechenden italienischen Ausdruck?). „Lettore“ sind „Sender“, die beim Lesen die Emotionen und Gefühle des Textes auf einen Menschen übertragen und sie bei ihm verstärken können. Empfänger sind umgekehrt Menschen, die das, was andere lesen, empfangen, im Geiste hören. Sie leben in einer lauten Welt, denn gelesen wird viel. Sensible Empfänger können sogar Bilder sehen, die beim Leser während des Lesens auftauchen, Gedanken erkennen, Abschweifungen. [1]

Sender und Empfänger sind aufgrund eines länger zurückliegende Streites nicht gut zu aufeinander zu sprechen. Sie wirken aber beide im geheimen, da sie zum einen befürchten, als Aussenseiter verfolgt zu werden, oder daß ihre Fähigkeiten, Gefühle anderer zu beeinflussen, mißbraucht werden könnten. Zu ihrem Erstaunen stellen sie fest, daß bestimmte Ereignisse in der Welt es nahe legen, daß es ausser ihnen noch eine Gruppe von Menschen mit diesen Fähigkeiten gibt, die diese aber offenbar zielgerichtet einsetzen.

Somit haben wir eine der typischen Verschwörungsgeschichten: eine machtvolle, klandestine Gruppierung greift nach der Weltherrschaft. Und im Zentrum des Abwehrkampfes steht der junge Jon Campelli, Sohn des Antiquars Luca Campelli, der das erste Opfer der Schattenorganisation ist. Natürlich, der junge Jon hat anderes im Sinn, als solche obskuren Geschichten zu verfolgen, aber was will man gegen dem Schicksal schon machen? Zumal es ihm eine Frau zuführt, für die er in heftige Liebe entbrennt, obwohl/weil sie Empfängerin ist…. (Auch das wohl eine Stereotype eines solchen Thrillers: ein überlegener Mann und eine schöne Frau, die zusammen das Böse jagen….)

Wie sollte es anders sein? Jon erweist sich als der bei weitem potenteste aller Sender (Um mit Leeloo zu sprechen: „Mächtiger Badabum…“) , kein Wunder, daß die Schattenorganisation ihn in ihre Gewalt bringen will, um ihn für ihre finsteren Pläne einzuspannen… doch die Freunde, vor allem seine Lieblingsempfängerin, lassen ihn natürlich nicht im Stich. Und so kommt es, wie es kommen muss: der Showdown mit viel Feuerwerk in der Bibliothek von Alexandria….

Also, ganz überzeugt hat mich das Buch nicht. Bei weitem nicht so witzig, skurril und voller Einfälle wie Fforde nimmt es sich etwas arg ernst. Aber auch als Verschwörungsthriller kommt es dann bei weitem nicht an Brown heran.. Sollten irgendwelche tiefergehenden philosophischen oder kulturkritischen Andeutungen im Buch sein, sind sie mir entgangen. Sympathisch ist natürlich auf jeden Fall die Wertschätzung, die das Buch in diesem Roman besitzt.

Facit: Was bleibt, ist eine nette Idee und eine massenkompatible, nicht weiter schmerzende Umsetzung, die ganz spannend ist und sich an zwei, drei Abenden gut lesen läßt…

[1] Kennt man Fforde, so fällt einem auf, daß dort die Menschen in die Bücher hineintauchen. Birkegaard hat den umgekehrten Weg gewählt, die Bücher tauchen gewissermassen in die Menschen hinein…

Mikkel Birkegaard
Die Bibliothek der Schatten
Page & Turner, 2010, geb. 512 S.
ISBN-10: 3442203627
ISBN-13: 978-3442203628

Ein Kommentar zu „Mikkel Birkegaard: Die Bibliothek der Schatten

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