Daniel Glattauer: Alle sieben Wellen

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Nun also das zweite Buch von Glattauer über Emmi und Leo, nachdem sich, das erste: „Gut gegen Nordwind“ ja offensichtlich sehr gut verkauft hat. Die Besprechungen waren zumeist positiv, meine eigene [1] eingeschlossen, es gab aber durchaus auch Stimmen, die dem Buch Seichte, Oberflächlichkeit und Nichtigkeit des Themas attestierten. Das waren dann aber wohl eher diejenigen Leser, die sich nicht in die spezielle Situation der beiden hineinversetzen konnten…

„Alle sieben Wellen“ setzen mit ihrer „Handlung“ gut neun Monate später ein. Leo Leike ist aus Boston zurückgekehrt, Emmi Rothner versucht zur gleichen Zeit, wieder per mail Kontakt zu bekommen, korrespondiert aber erst einmal nur mit dem Systemmanager, der verkündet, diese mail-Adresse gäbe es nicht. Bis dann eines Abends eine Antwort von Leo in ihrem Postfach auf sie wartet. Die sich daraus entspinnende Handlung, der Fortgang der Geschichte ist recht vorhersehbar, ich will den Inhalt hier auch nicht allzu ausführlich wiedergeben.

Ist Emmi das Herz der Gefühle beider, so muss man Leo als den Kopf bezeichnen. Emmi ist diejenige, die treibt, die will, die auch konsequenter ist, Leo versucht dem (und seinem eigenen Herzen) Beherrschung entgegenzusetzen. Schön sind seine langen mails, wenn er rotweingeschwängert am Rechner sitzt und einfach nur schreibt, ohne die Blockade, das Wissen um die Ausweglosigkeit der Gefühle im Kopf. Ansonsten sind Emmis mails, wie schon im ersten Buch, diejenigen, die sprühen vor Witz und Einfällen, die intelligent sind, spontan, charmant und verführerisch….

Es mag solche Beziehungen geben wie die von Glattauer hier beschriebene. Was ich mir jedoch nicht vorstellen kann ist, daß sie in dieser Art und Weise ablaufen sollen. Zwei Menschen, die sich per Internet verlieben, die letztlich auch dem Gottesurteil der persönlichen Bekanntschaft standhalten, sollen nur per mail korrespondieren? Drei Tage und länger vor dem Rechner sitzen und auf eine mail warten, völlig ignorieren, daß es Handy, SMS und auch Festnetz gibt? Nicht Bescheid sagen, wenn sie mal länger weg sind, sondern den anderen einfach nur warten lassen, in all der Ungewissheit? Solches Verhalten ist für mich nicht vorstellbar, das glaube ich einfach nicht, da hätte ich mir von Glattauer mehr Realitätsnähe erhofft, das hat mich ein wenig gestört.

Und ja, was haben Leo und Emmi eigentlich gemeinsam? Die gesamten Briefe, die sie sich schreiben, handeln nur von sich selbst, nirgends von Interessen, von Hobbys, Erlebnissen, die man dem anderen erzählen will, weil man will, daß er am Leben teilnimmt. Sie treiben wie in einem hermetisch abgeschlossenen Kokon durch die Welt, dem die Erdung, das Gemeinsame fehlt. Und ich hätte schon gern gewusst, was beide verbindet ausser der Magie zwischen ihnen…..

Trotz dieser Kritikpunkte hat Glattauer jedoch ein wunderschönes, wunderschön zu lesendes Buch geschrieben, voller Poesie und Gefühl, an manchen Stellen sogar mit einer Nachdenklichkeit, die anrührt. Dankenswerterweise hat er darauf verzichtet, die realen Treffen beider zu schildern, diese werden nur in den nachfolgenden mails zwischen ihnen aufgearbeitet und reflektiert (das gehört dann natürlich wiederum zur obig angemerkten Selbstbezüglichkeit der Beziehung…). Beide, Emmi und Leo, gehen durch Höhen und Tiefen, ihre Lebensplanung wird durch ihre Gefühle völlig umgeworfen, Lebenslügen werden entlarvt. Und da es ein Roman ist, finden beide – ja, auch Leo – die Kraft, das zu leben, was sie leben wollen. Und nicht daß, was sie glauben, leben zu müssen.

Facit: Eine wunderschön erzählte Romanze zweier Menschen, die sich Briefe schreiben….. (für den, der sich auf die Situation einlässt) kurzweilig, ergreifend, nachdenklich… nicht wirklich anders als der Nordwind, eine Fortsetzung eben, jetzt aber mit einem Ende.

Links:
[1] Glattauer: Gut gegen Nordwind
[2] Als Tip: Auf Glattauers WebSite sind Hörproben als podcast hinterlegt, mit der sehr schönen Stimme von Andrea Sawatzki….
[3] Noch ein Tip, ein youtube-Video mit einem Interview von Glattauer

Daniel Glattauer
Alle sieben Wellen
Deuticke im Zsolnay Verlag, Februar 2009, 224 S.
ISBN-10: 3552060936
ISBN-13: 978-3552060937

17 Kommentare zu „Daniel Glattauer: Alle sieben Wellen

  1. hm….ergänzend: ist es nicht schöner, einfach nur zu fühlen, denn dauernd zu diskutieren und dann auch noch in diesem hochgestochenen Deutsch?….Naja, aber ich räume ein: dann bräuchte man auch dieses Buch nicht zu schreiben.
    Vielleicht auch, weil ich meine eigenen Erfahrungen mit E-mail-Freunden und – Lieben habe. :-)

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  2. Ich liebe dieses Buch, es ist einmal ganz was anderes zum Lesen. Der Autor beschreibt diese Gefühlseben finde ich total gut, diese ja / nein, dieses hin / her.
    Bin echt begeistert davon!

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  3. „Drei Tage und länger vor dem Rechner sitzen und auf eine mail warten, völlig ignorieren, daß es Handy, SMS und auch Festnetz gibt?“ – Oh doch, das gibt es, zumindest die Scheu, andere Medien einzubeziehen; diesen Part fand ich nicht paradox. Schade aber, beide ziehen lassen zu müssen. Ein Buch, ein seltener Fall, in das ich mich einfühlen konnte obschon es nicht meinen sonstigen Lesegewohnheiten entspricht.

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    1. ich weiß es nicht (jetzt nach so langer zeit, will ich meine beschränkte vorstellung nicht unbedingt aufrecht halten), man kann sich so viele situationen denken, ausmalen, in denen es so geschieht, wie glattauer beschreibt oder eben auch anders…. eine verliebtheit, liebe per internet ist eben auch „nur“ eine liebe, so verrückt, anders, gleich, einzigartig wie jede andere auch mit ihrer eigenen geschichte. Anders und doch…. schließlich scheitern nicht nur internet-lieben an der schnöden realität….
      danke für deinen kommentar!

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  4. Es ist so. Hätte nie gedacht, dass gefühle über mail möglich sind..bis ich im herbst 2006 einen mailfreund kennengelernt habe.
    Wir schreiben uns bis heute (2010!)ohne uns je begegnet zu haben.
    Nach 2 jahren mails-austausch haben wir das erste mal miteinander telefoniert. Wir schreiben auch sms. Ein paar mal haben wir den wunsch gehabt, uns zu treffen, uns aber nicht getraut. Ich glaube, eben, aus angst, etwas zu verlieren. Wir haben aber unsere foti ausgetauscht. Und wir wissen sehr viel voneinander, ich glaube sogar mehr, als manche menschen von uns wissen, mit denen wir täglich kontakt haben. Den realen kontakt.
    Und es gab auch „unentschuldigte“ pausen :). Die uns aber nicht ausseinander gebracht haben.
    Ich freue mich auf jede zeile von ihm.
    Er ist (noch) verheiratet, ich geschieden. Also kein hindernis für einen treff….
    Das buch ist gut, natürlich die wort- & sätzeakrobatik ist gewaltig.Ich habe es gerne gelesen. Danke.

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    1. Danke für deinen ehrlichen Kommentar.

      ..ja, ich kann mir vorstellen, daß eine Entscheidung: „treffen“ oder „nicht treffen“.. man kann unendlich viel gewinnen – und sehr, sehr viel verlieren dabei…

      ich wünsch dir/euch, daß ihr die richtige Entscheidung trefft.

      lg
      fs

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  5. Ich muss sagen ich habe das Buch auch innerhalb von 24 Stunden gelesen !
    Hier wird immer wieder geschrieben, dass das was Glattauer in dem Roman erzählt nicht real sein kann.

    Ich muss euch leider enttäuschen…es ist ziemlich real.
    Ich bin in einer ähnlichen Situation…zwar bin weder ich noch mein E-Mail Partner vergeben…aber ansonsten kommt mir vieles aus dem Buch sehr bekannt vor.
    Vor allem die Frage:“ Treffen ja oder nein ?!?“

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    1. Warum sollte das Leben weniger phantasievoll sein als ein Roman? Wenn ihr beide nicht gebunden seid, ist es zumindest auf dieser Ebene leichter für euch als für Emmi und Leo. Ich wünsch euch, daß ihr auf DIE Frage eure Antwort findet, manchmal muss man Entscheidungen reifen lassen, manchmal muss man auch was riskieren…

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  6. So. Ich hab sie beide durch. Teil 1 hat mich geärgert. Ja und ich hätte ihm auch Oberflächlichkeit attestiert, nicht weil ich mich nicht reinversetzen kann (um Deinem Argument mal entgegenzuhalten), sondern weil Glattauer ja nun wirklich jedes sprachliche Klischee erfüllen wollte und dabei gelegentlich den Tiefgang vergisst. Wie sie in Teil 1 die Faszination füreinander finden, das erschließt sich mir nicht so wirklich… bis dahin Emmi ein Traum für Leo, Leo ein Traum für Emmi.
    Umso positiver überrascht war ich von Teil 2, wenn ich auch Emmis wirklich massiven Vorstoß gerade zu Beginn so gar nicht verstehen wollte, denn scheinbar plötzlich nimmt dieser Traum wie aus dem Nichts Formen an.
    Hier schreibt Glattauer dann ein paar richtig schöne Sätze, die fast schon weh tun.
    Leider begibt er sich damit auch in Richtung Unglaubwürdigkeit. Eine Geschichte mit solchem Verlauf endet wesentlich eher glücklich oder langfristig im Chaos.
    Der Leo, der Emmis Überzeugungsversuche nicht als Vorwurf empfindet, sieht ihre Verzweiflung und reagiert (oder eben nicht).
    Es stört mich nicht, nicht mehr über die Randbedingungen erfahren zu haben. Es braucht sie nicht, ich glaube auch, es geht, was Leo und Emmi da erfahren. Nur, dass sie nicht schon viel eher (irgendwo in der Mitte des Buchs) zu dem Schluss kommen, mehr zu wollen: Kommunikation mit Haut und Haar, das „dem anderen verfallen“ und das nicht nur per Mailbox, – der meines Erachtens konsequente, wenn nicht gar zwangsläufige, unausweichliche Schritt. – das verstehe ich nicht.

    Vielleicht muss ich das Ganze selbst noch rezensieren!? Ich habe nur im Moment den Eindruck, ich kenne zu viel dessen, was da geschrieben ist.

    Eines glaube ich übrigens nicht: Glattauer weicht keiner Klippe aus, indem er die Treffen nicht beschreibt. Er würde sich mit einer Beschreibung auf eine Ebene begeben, die viel zu real und fassbar ist, um den Zauber dieser Anziehungskraft nicht gleichzeitig zu zerstören. Es ist gut so, dass er es nicht tut!

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    1. Danke für deinen ausführliche Kommentar, ich denke, deine Gedanken decken sich im wesentlichen auch mit meinen Eindrücken vom Buch. Ja, so eine Liebesgeschichte ist möglich, aber sie wird anders verlaufen…

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  7. Sicherlich ist deine Argumentation gut, ich will da garnicht gegen anreden. Trotzdem bleiben Emmi und Leo für mich als Personen relativ wenig fassbar. In der Rolle des Lesers mag das angehen, daß meine Fantasie derart gefordert wird, versetz ich mich aber in die Rolle von Leo (resp. Emmi, aber das fällt mir naturgemäß schwerer), wäre ich unzufrieden mit dem, was ich aus den mails von Emmi über ihr Leben erfahren würde.

    Natürlich kann man jetzt sagen, daß in den Treffen alles besprochen worden ist, was an realem Leben für die beiden Bedeutung haben mag. Aber für mich würde auch dieses Argument nichts ändern, ich wollte (in der Rolle des Leo) trotzdem auch per mail am Leben von Emmi teilhaben.

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  8. Nun, wir wissen, was die beiden beruflich machen – was aber in deren schriftlicher Beziehung uninteressant ist. Der Fokus der beiden Beziehungen ist nur auf das Wort gelegt, nicht darauf, ob man gerne miteinander verreist, oder ein Faible für Himbeeren hat. Leo und Emmi sind beide davon fasziniert, wie sie mit Worten und Sätzen umgehen, was sie damit ausdrücken und transporten wollen. Und sie genießen es in Sätzen eingefangen zu werden. Das ist deren gemeinsames Interesse, die Liebe zum Wort.
    Mich als Leser interessieren bei diesem Buch die Fakten eigentlich gar nicht so, sondern ich sehe auch nur diesen Ausschnitt in ihrem Leben, wenn sie vor der Tastatur sitzen und sich schreiben. Alles andere kann man sich im Kopf ausmalen, wenn man will. Wäre das Inhalt des Buches, dann nimmt es dem Leser die Fantasie und wäre nur plumpes Beiwerk an Ausschmückung und um das Buch um 100 Seiten stärker zu machen.
    Für mich hat es schlanken Inhalt mit üppiger Fantasiewelt.

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  9. Du hast schon recht mit deiner Bemerkung, aber daß ich nach zwei Büchern so fast garnichts weiß von den beiden, das „stört“ mich schon ein wenig. Ich denke eher, Glattauer ist dieser Klippe ausgewichen so wie er ja auch die Treffen der beiden nicht beschrieben hat.

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  10. Da ich das „Nordwind“-Buch kenne, allerdings die Fortsetzung nicht, kann ich nur eingeschränkt meine Gedanken dazu geben.
    Warum die beiden in einem Kokon, wie du es beschreibst durch die Gegend fliegen und in ihrem Kontakt nicht auf deren gemeinsame Interessen Rücksicht nehmen, hat sicherlich zweierlei Gründe.
    Einerseits sind gemeinsame Interessen nicht immer ein zwingender Grund für gutes Verständnis. Gerade divrgierende Hobbies, Interessen, Meinungen sind viel spannender, als parallele Gedankengänge.
    Zum anderen, würden die beiden intensiv über deren Partnerschaften erzählen, wäre das sicherlich eher ein Faktor, der sie auseinander treiben ließe, als aneinander binden würde.

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