Die Handlung dieses Kriminalromans ist schnell umrissen: In einem der traditionellen „Shikumen“ (Miets)Häuser in Schanghai wird eine Dissidenten ermordet aufgefunden. Diese hatte einen Roman über einen verfemten Dichter veröffentlicht, der jedoch von der politischen Führung seinerzeit verboten wurde, womit der Fall bzw. dessen Lösung eine mögliche politische Komponente erhält. Mit der Klärung des Falles wird Hauptwachtmeister Yu beauftragt, da sein Vorgesetzter, Oberinspektor Chen, sich gerade im Urlaub befindet (den er jedoch als ehemaliger Dichter nur genommen hat, um als Übersetzer für einen neureichen Chinesen zu arbeiten).
Das Buch fließt wie ein ruhiger Fluss ohne wirkliche Höhepunkte dahin. Die Ermittlungsarbeiten kommen ohne westliche Zutaten wie Labors und Pathologen aus, bestehen im Grunde nur aus Verhören, Gesprächen und Gedankengängen. Es gibt keine Verfolgungsjagden, spektakuläres geschieht nicht. Ab und an wird über Telefon eine Gefälligkeit eingefordert in Form von Informationen, an die man sonst nicht gelangen kann. Als Kriminalfall ist das Buch kein besonders aufregendes.
Was es jedoch trotzdem lesenswert macht, sind die Schilderungen des Alltagslebens von Schanghai zusammen mit den Rückblenden auf die Geschichte der handelnden Figuren. Deren Leben wurde durch die verschiedenen politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, angefangen von der Kulturrevolution bis hin in die neueste Zeit, die dem Land einen verdeckten Kapitalismus brachte durcheinandergewirbelt. Diese Wechselfälle des Lebens haben die Menschen verunsichert, hinter allen Lebensplanungen steht mehr oder weniger offen die Frage: wie lange wird die gegenwärtige politische
Maxime halten, ändern sich die Verhältnisse wieder und wenn, wie?
Allen ist die Sicherheit des Alltagslebens verloren gegangen, die früheren Parteimitglieder und Genossen haben in der Gegenwart kaum noch ein Auskommen, sind verbittert, die Neureichen und Geschäftsmänner leben in Luxus und bestimmen die Regeln. Ein System von gegebenen, erhaltenen, einforderbaren Gefälligkeiten überzieht die Stadt wie ein Spinnennetz, doch ohne hier eingesponnen zu sein, ist das Leben hart geworden, geht es nun um die Zuteilung von Wohnraum oder die medinzinische Versorgung im Krankenhaus.
So schildert der Autor im Lauf des Romans die Lebensläufe vieler Figuren aus unterschiedlichen Milieus, angefangen vom Intellektuellen, der unter Mao aufgrund seiner Englischkenntnisse als Rechtsabweichler gebrandmarkt wurde bis hin zu den aufstrebenden modernen Parteikadern, die von der Geschäftswelt hofiert werden, um Geschäftsprojekte politisch abzudecken.
Neben dieser Darstellung der politischen Wechselfälle in China streut der Autor kleine Betrachtungen über die kulinarische Kultur in Schanghai ein. So lernt man etwas über die ideale Kochweise für Nudeln und kann nach der Lektüre des Buches auch mitreden, wenn die Diskussion sich unerwarteter Weise mal um „Sauna-Krebse“ drehen sollte…. nun ja, andere Länder, andere Sitten.
Facit: als Kriminalroman durchschnittlich, ist das Büchlein mit seinen knapp 300 Seiten jedoch eine kurzweilige, lohnende Lektüre, um sich exemplarisch über chinesische Lebensläufe zu informieren.
Qiu Xiaolong
Schwarz auf Rot
dtv 2007
ISBN 978-3-423-20964-9
Ein Kommentar zu „Qiu Xiaolong: Schwarz auf Rot“